Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

„Entaktualisierung“ von Patienteneinwilligungen – Gibt es ein Verfallsdatum für Aufklärung und Einwilligung?

Immer wieder kommt es vor, dass medizinische Eingriffe und Behandlungen, wie beispielsweise Operationen teilweise sogar mehrere Monate nach hinten verschoben werden. Die Gründe sind vielfältig und reichen von Personalengpässen bis zu pandemiebedingten Bettenschließungen.

Ein Problem stellt sich, neben der zunehmenden körperlichen und psychischen Belastung der betroffenen Patienten, auch für die behandelnden Ärzte. Unklarheit herrscht dabei vor allem in Bezug auf die Patienteneinwilligung. So stellt sich die Frage, ob eine einmal erteilte Einwilligung auch beim Verschieben des Eingriffs weiterhin Bestand hat oder ob diese nach einem gewissen Zeitraum erneut erteilt werden muss.

§ 630e Absatz 1 BGB – Die Aufklärung des Patienten

Nach § 630e Absatz 1 BGB ist der Behandelnde dazu verpflichtet, den Patienten über alle wesentlichen Umstände aufzuklären, die für dessen Einwilligung entscheidend sind. Dazu zählen beispielsweise die Art und der Umfang des Eingriffs, aber auch die Durchführung und die zu erwartenden Folgen und Risiken. Zudem muss die Aufklärung dem Eingriff so weit vorgelagert erfolgen, dass der Patienten die Möglichkeit hat, in Ruhe und reflektiert über seine Einwilligung zu entscheiden. Ein genauer zeitlicher Rahmen ist dabei nicht vorgegeben und im Einzelfall festzulegen. Allenfalls soll der Patient seine Einwilligung in einem informierten Zustand („informed consent“) abgeben, was eine vollständige Aufklärung auf Seiten des Arztes unerlässlich macht. Entscheidend ist dabei stets, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt werden kann.

Verfallsdatum der Aufklärung und Einwilligung

Gesetzlich nicht geregelt ist die Frage, ob eine solche Einwilligung nur für einen gewissen Zeitraum gültig ist und danach erneut abgegeben werden muss oder ob sie lediglich durch den Widerruf des Patienten nach § 630d III BGB unwirksam wird. In der Rechtsprechung und der juristischen Literatur ist eine Tendenz zu einem „Verfall“ der einmal erteilten Einwilligung zu erkennen.

Im Einzelfall kann eine Aufklärung bei gleichartiger Behandlung eine Art „Dauerwirkung“ entfalten. Findet eine gleichartige OP bspw. einen Monat nach der ersten statt, kann die zuvor ordnungsgemäß durchgeführte Aufklärung noch wirksam sein. Daraus folgt aber nicht, dass der Patient verpflichtet wäre, sich Informationen über Risiken oder den Ablauf einer Behandlung selbst zu beschaffen. Es obliegt auch in diesen Fällen dem Behandelnden, sicherzustellen, dass der Patienten (noch) aufgeklärt ist und dessen Einwilligung fortbesteht.

Handlungsempfehlung

Im Sinne des sichersten Weges empfiehlt es sich bei einer Verzögerung zwischen Aufklärung, Einwilligung und Behandlung, beim Patienten nachzufragen, wie viel er noch über den anstehenden Eingriff weiß. Bestehen hier erhebliche Defizite, sollten Aufklärung und Einwilligung vollständig wiederholt werden. Hat er „im Großen und Ganzen“ noch genügend Kenntnisse, empfiehlt es sich ihn jedenfalls auf die maßgeblichen und wichtigsten Aspekte, wie beispielsweise den Ablauf des Eingriffs oder mögliche Risiken hinzuweisen. Dabei kann man sich danach richten, dass die erneute Aufklärung ausführlicher sein sollte, je länger die erste Aufklärung zurückliegt. In beiden Fällen sollte der Behandelnde diese Aktualisierung oder erneute Aufklärung unter Hinweis auf die ursprüngliche Aufklärung dokumentieren. Wann genau die Grenze verläuft, ab der eine vollständig neue Aufklärung erforderlich wird, hängt vom Einzelfall ab. Die Bedeutung des Eingriffs, die damit verbundenen individuellen Risiken und das Erinnerungsvermögen des Patienten spielen eine Rolle. Jedenfalls wenn die Aufklärung länger als sechs Monate vor dem Eingriff zurückliegt, sollte diese vollständig wiederholt werden. So entschied jedenfalls das Oberlandesgericht Dresden mit Beschluss vom 15. November 2016 (OLG Dresden, Beschl. v. 15.11.2016 – 4 U 57/16). Dementgegen können nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bis zu sechs Wochen zwischen der Aufklärung und dem Eingriff liegen, ohne dass diese unwirksam wird (BGH Urt. v. 28.01.2014 – VI ZR 143/13). Als Faustregel kann damit gelten, dass eine Verschiebung um bis zu einen Monat regelmäßig ohne erneute Aufklärung möglich ist. Danach ist im Einzelfall zu entscheiden und eine zu dokumentierende Vergewisserung über die noch vorhandenen Kenntnisse beim Patienten ist anzuraten. Sollte die Verzögerung hingegen sechs Monate oder länger betragen, ist die Aufklärung vollständig zu wiederholen, da davon auszugehen ist, dass die verbliebenen Kenntnisse für eine informierte Einwilligung im Regelfall nicht mehr ausreichen.

Sollte der Patient hingegen explizit auf eine erneute Aufklärung nach § 630e III BGB verzichtet, ist eine entsprechende Dokumentation durch den Behandelnden sowie eine Gegenzeichnung des Patienten zu empfehlen.

Eine erneute Aufklärung und Einwilligung ist schließlich auch dann erforderlich, wenn es zu einer Änderung des Eingriffs oder der damit verbundenen Risiken kommt. Ändert sich also die Art oder die Intensität des Eingriffs oder der Behandlung, zum Beispiel weil die Grunderkrankung weiter fortgeschritten ist, muss der Behandelnde erneut aufklären und der Patient erneut einwilligen.

Leipzig, im September 2022