Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

Zielvereinbarungen in Arbeitsverträgen von Ärzten

Die Ökonomisierung der Medizin steht als Schlagwort seit Längerem auf der Agenda der verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen. Von Seiten der Ärzteschaft – insbesondere auch vom ehemaligen Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK), Herrn Prof. Jörg-Dietrich Hoppe – immer wieder thematisiert wurde die Frage der Priorisierung. Ziel der wiederholten Denkanstöße war es, eine schleichende und verkappte Rationierung auf individueller Ebene durch eine von der Politik mitgetragene Priorisierung auf der Makroebene zu verhindern.[1] Nicht zu verwechseln ist dabei die Ökonomisierung der Medizin mit der Wirtschaftlichkeit der medizinischen Behandlung. Während letztere – gesetzlich in § 12 SGB V verankert – ein grundlegender Pfeiler einer auch ethisch geforderten modernen Medizin ist, bedeutet erstere ein Vertauschen von Diener und Herrn. Oberstes Gebot allen medizinischen Handelns ist die Gesundheit des Patienten, wie auch das Genfer Gelöbniss des Weltärztebundes bestimmt. Die Ökonomie hat im Bereich der Medizin eine dienende Funktion. Es ist weder unethisch noch in sonstiger Weise verwerflich sondern vielmehr sinnvoll betriebs- und volkswirtschaftliche Erkenntnisse auch im Gesundheitswesen nutzbar zu machen. Der Betrieb einer medizinischen Einrichtung mit Gewinnerzielungsabsicht ist legitim. Ohne Gewinn kann auch keine Investition in Neuerungen jeder Art erfolgen. Wenn aber die Gewinnerzielung nicht mehr Mittel zum Zweck einer hochwertigen medizinischen Versorgung sondern Selbstzweck ist, kann von einer Ökonomisierung der Medizin gesprochen werden. Diese birgt erhebliche Gefahren für das Gesundheitswesen als Ganzes, insbesondere aber für den einzelnen Patienten. Nicht nur steht das Unterlassen einer medizinisch gebotenen oder die Durchführung einer unnötigen Behandlung aus rein wirtschaftlichen Erwägungen zu befürchten; insbesondere das Vertrauen des Patienten in den individuellen Arzt im Sinne einer „Erwartungssicherheit“, aber auch in die gesamte Ärzteschaft im Sinne eines „antizipatorischen Systemvertrauens“ ist gefährdet und kann für sich genommen bereits den Erfolg einer Behandlung vereiteln.[2]

Zielvereinbarungen in Chefarztdienstverträgen

Ein Symptom dieser Prioritätenverschiebung stellt die ebenfalls seit Längerem in der Diskussion stehende Tendenz zur Aufnahme von Zielvereinbarungen in Arbeitsverträgen von (leitenden) Krankenhausärzten dar. Diese Zielvereinbarungen haben ein erhebliches Potential zur Beschleunigung der beschriebenen Prioritätenverschiebung. Bereits im Jahr 2007 veröffentlichte die BÄK daher entsprechende Hinweise und Erläuterungen in denen sie auf die berufsrechtlich einzuhaltenden Mindeststandards verwies, insbesondere auf § 23 Abs. 2 MBO-Ärzte, der vorgibt, dass Ärzte keine Vergütung vereinbaren dürfen, die die ärztliche Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidung beeinträchtigt.[3] Dieser Appell der BÄK konnte die Entwicklung hin zu einer fortschreitenden Durchsetzung von Arbeitsverträgen (leitender) Krankenhausärzte mit Zielvereinbarungen nicht stoppen. Die Politik und mit Ihr die allgemeine Öffentlichkeit reagierte erst mit Bekanntwerden des sogenannten Transplantationsskandals auf diese Entwicklung.[4] Der Gesetzgeber erließ im Frühjahr 2013 § 136a SGB V, mit dem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verpflichtet wurde „bis spätestens zum 30. April 2013 im Einvernehmen mit der Bundesärztekammer Empfehlungen abzugeben, die sicherstellen, dass Zielvereinbarungen, die auf finanzielle Anreize bei einzelnen Leistungen abstellen, ausgeschlossen sind. Die Empfehlungen sollen insbesondere die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen sichern.“[5] Über § 137 Abs. 3 Nr. 4 SGB V wurde eine Erklärungspflicht des jeweiligen Krankenhauses zu solchen Zielvereinbarungen eingeführt. DKG und BÄK einigten sich mit dem 24.04.2013 auf einen Minimalkonsens. Während die Intention des Gesetzgebers dahingehend zu verstehen ist, Zielvereinbarungen zu verhindern, die finanzielle Anreize bei Leistungsmengen vorsehen,[6] gelang es offensichtlich allein, eine streng am Wortlaut des Gesetzes orientierte Formulierung zu vereinbaren, die Zielvereinbarungen untersagt, die finanzielle Anreize bei einzelnen Leistungen vorsehen. Eine solche Beschränkung ist jedoch nicht geeignet, Fehlanreize wirksam zu verhindern. Zwar ist es schwieriger geworden in neuen Verträgen eine bestimmte Fallzahl als Zielvorgabe zu vereinbaren. Dies war aber auch in der Vergangenheit eher selten der Fall. Vereinbart wurden (und werden) vielmehr Ziele, die sich an der Leistungsmenge orientieren. So wird auf eine Erreichung oder Steigerung des Case-Mix-Indexes (CMI) oder einer bestimmten Anzahl an Bewertungsrelationen abgestellt. Diese Ziele dienen aber wie die nun verpönten Vereinbarungen zu einzelnen Leistungen ebenfalls der Ausweitung der abrechenbaren Leistungen.

Zwischenzeitlich hat die DKG auch ihre „Beratungs- und Formulierungshilfe Chefarztvertrag“ mit der aktuellen, neunten Auflage dieser neuen Rechtslage angepasst.[7] Dabei ist insbesondere im Vergleich mit der vorherigen, achten Auflage zu konstatieren, dass eine Vielzahl problematischer Formulierungen aufgrund der Vorgabe nach § 136a SGB V entfallen sind. Dennoch verbleibt dort ein weiter Kreis von zu vereinbarenden Zielen, die unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zum „obersten Gebot allen medizinischen Handelns“ kontraproduktiv sind. So erscheint weder eine Zielvereinbarung zur „Inanspruchnahme nichtärztlicher Wahlleistungen“ (d.h. z.B. Einzelzimmer etc.) noch zu „Sach- und Personalkosten“ der Abteilung zielführend im Sinne einer guten medizinischen Versorgung. Während der Arzt bei erstgenanntem Beispiel als Gastwirt auftreten soll, soll im zweiten Beispiel die Vergütung des Arztes von Faktoren abhängig gemacht werden, auf die er regelmäßig keinen Einfluss hat. Weder kann ein Chefarzt in der Regel den Stellenplan seiner Abteilung beeinflussen, noch hat er nennenswerten Einfluss auf den Materialbedarf und insbesondere –einkauf. Dieser wird regelhaft durch eine arztferne Abteilung des Krankenhauses durchgeführt um Strafbarkeitsrisiken bei der Materialbeschaffung auszuschließen. Sinnvoll und zielführend im obigen Sinne sind hingegen die vorgesehenen qualitäts- und strukturorientierten Ziele. Gerade in diesem Bereich sind unter Berücksichtigung der nunmehr auch in einigen Tarifverträgen für nachgeordnete Ärzte vorgesehenen Regelungen sinnvolle Zielvereinbarungssysteme über die gesamte Abteilung möglich.

Zielvereinbarungen in Dienstverträgen des nachgeordneten ärztlichen Personals

Seit 2010 sind im weitverbreiteten Tarifvertrag TV-Ärzte/VKA zwischen dem Marburger Bund und der Tarifgemeinschaft der kommunalen Arbeitgeber in § 21 „Leistungs- und erfolgsorientierte Entgelte“ vorgesehen. Diese sollen laut verbindlicher Protokollerklärung „insbesondere in Bezug auf abteilungs- oder klinikspezifische Fort- oder Weiterbildungen abgeschlossen werden“. Damit eröffnet sich für Arbeitgeber die Möglichkeit Qualifizierungsmaßnahmen über die Pflichtfortbildung hinaus strukturiert anzugehen.

Zusammenfassung und Bewertung

Die auf Basis des § 136a SGB V und im Einvernehmen mit der BÄK ergangenen Empfehlungen der DKG vom 24.04.2013 und die darauf beruhenden Änderungen im Mustervertrag der DKG stellen einen ersten und wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Es bleibt zu konstatieren, dass diese Änderungen hinter dem zurück bleiben, was sinnvoll und wünschenswert gewesen wäre. Weiterhin besteht die Möglichkeit über Ziele zur Ausweitung der Leistungsmenge Fehlanreize zu setzen. Hier sind auch die (angehenden) Chefärzte gefordert, in den Vertragsverhandlungen auf die Vereinbarung legitimer Ziele zu drängen. Gemeinsames Ziel aller Beteiligten des Gesundheitswesens muss es sein, das zwischen Arzt und Patient zwingend erforderliche individuelle und systembezogene Vertrauen zu bewahren und zu festigen. Zielvereinbarungen die geeignet sind dieses Vertrauen zu beschädigen sind für die Gesundheit des Patienten auch dann schädlich, wenn im konkreten Fall eine Beeinflussung der ärztlichen Entscheidung nicht erfolgt ist.

Rechtsanwalt Torsten Nölling

Fachanwalt für Medizinrecht

[1] Zuletzt z.B.: Gerst, Dtsch Arztebl 2013; 110(23-24): A-1164ff.

[2] Siehe hierzu ausführlich: Bekanntmachung der Bundesärztekammer: Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission, Ärztliches Handeln zwischen Berufsethos und Ökonomisierung. Das Beispiel der Verträge mit leitenden Klinikärztinnen und -ärzten, Dtsch Arztebl 2013; 110(38) A 1752 ff. Von dort stammen auch die zitierten Begriffe.

[3] Bundesärztekammer, Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit Umgang mit der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, Dtsch Arztebl. 2007; 104(22): A-1607 ff.

[4] z.B. von Lutterotti, Den Schaden hat der Patient, FAZ vom 11.04.2012

[5] Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) G. v. 3. April 2013 BGBl. I S. 617 m.W.v. 9. April 2013.

[6] Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/12221, S. 24f.

[7] Deutsche Krankenhausgesellschaft, Beratungs- und Formulierungshilfe Chefarztvertrag, 9. Aufl. 2013.