Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

Facharztweiterbildung – Vertragsstrafe bei Kündigung des Weiterbildungsvertrags?

Das Ärztinnen und Ärzte einen Teil ihrer Facharztweiterbildung bei niedergelassenen Ärzten oder in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) ableisten, ist mittlerweile ein etabliertes Modell. Diese Arbeitgeber sind jedoch meist nicht tarifgebunden und können somit frei verhandelte Arbeitsverträge schließen, was einige Risiken und Probleme mit sich bringt.

Erst kürzlich hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 20.10.2022, 8 AZR 332/21) über einen Fall einer Ärztin entschieden, die im Rahmen ihrer fachärztlichen Weiterbildung in einer Gemeinschaftspraxis beschäftigt wurde. Diese wurde wenig später von einem MVZ übernommen, das über eine Weiterbildungsbefugnis von 42 Monaten verfügte. Die Ärztin und das MVZ vereinbarten in dem Arbeitsvertrag eine Probezeit von fünf Monaten. Während dieser war eine Kündigung innerhalb von zwei Wochen möglich. Nach Ablauf der Probezeit sollte die ordentliche Kündigung für eine Dauer von 42 Monaten für beide Parteien ausgeschlossen und erst nach Ablauf dieses Zeitraums innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfristen wieder möglich sein. Sofern die Arbeitnehmerin den Arbeitsvertrag vor Ende des 42-monatigen Zeitraums kündigte, drohte ihr eine Vertragsstrafe von bis zu drei Monatsgehältern.

Nach zwei Jahren kündigte die Ärztin ihr Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist aufgrund familiärer Umstände ordentlich. Das MVZ behielt daraufhin eine noch fällige Lohnzahlung der Ärztin ein und forderte die restliche Zahlung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Vertragsstrafe bei Kündigung des Weiterbildungsvertrags. Die Ärztin wiederum forderte die Auszahlung des ihr noch zustehenden Lohnes.

Zunächst gab das LAG Baden-Württemberg (Urt. v. 10.05.2021 – 1 Sa 12/21) der Ärztin Recht und erklärte die Forderung des MVZ zur Zahlung einer Vertragsstrafe für unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hielt den Ausschluss der ordentlichen Kündigung für 42 Monate für unwirksam. Es stünde nicht im Interesse der beiden Parteien, eine Kündigung über einen so langen Zeitraum auszuschließen. Zwar berücksichtigte das Gericht das Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses auf Seiten des MVZ, welches sowohl Zeit als auch personelle Ressourcen in die Weiterbildung der Ärztin investierte. Jedoch stünden diese Interessen sowohl hinter der durch das Grundgesetz geschützten Berufsfreiheit aus Art. 12 GG als auch hinter dem in Art. 6 GG geregeltem Recht auf Familienleben der Ärztin zurück. Auch führte das Gericht an, dass der Arbeitgeber ebenso von der Investition anderer Arbeitgeber profitieren könne, wenn er selbst Ärzte im fortgeschrittenen Weiterbildungsstadium anstellen.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte, das MVZ, Revision ein, sodass nun das BAG über den Fall zu entscheiden hatte.

Auch das BAG gab der Ärztin Recht und schloss sich dem Urteil des LAG im Ergebnis an. Jedoch begründete das BAG sein Urteil abweichend, woraus sich für andere Fälle wichtige Erkenntnisse entnehmen lassen.

Gerichte sind uneinig, ob eine Vertragsstrafe bei einer Kündigung des Weiterbildungsvertrags generell unzulässig ist

Während das LAG die Vereinbarung über den Kündigungsausschluss für unwirksam erklärte, weil die Interessenlagen beider Parteien diesen nicht rechtfertigten, lässt das BAG dagegen diese Entscheidung offen. Das Gericht stimmt damit weder der Argumentation des LAG zu, noch erklärte es diese für falsch oder nicht vertretbar. Es sollte daher nicht per se davon ausgegangen werden, dass jeder Kündigungsausschluss über einen längeren Zeitraum automatisch unwirksam ist, wie es zuvor das LAG entschied.

Vielmehr stützt sich das Revisionsgericht darauf, dass bereits die vereinbarte Höhe der Vertragsstrafe die Klägerin unangemessen benachteilige und diese somit unwirksam sei.

Es begründet diese Entscheidung damit, dass die Vertragsstrafe im konkreten Fall bereits dann in Höhe der drei Monatsverdienste geschuldet werde, wenn die Arbeitnehmerin unmittelbar nach Ablauf der Probezeit das Arbeitsverhältnis ordentlich kündige. Zu diesem Zeitpunkt haben die ausbildenden Ärzte, im Vergleich zu einem späteren Zeitpunkt, einen erst überschaubaren Aufwand für die Ausbildung der Ärztin betrieben – was nach Ansicht des Gerichts eine Vertragsstrafe in dieser Höhe nicht rechtfertige. Auch brachte das Gericht an, dass es der Ärztin bei einer Vergütung von 4.435 Euro brutto bis zum Ablauf der Probezeit nicht möglich sei, Ersparnisse aufzubauen, die die Höhe der Vertragsstrafe auch nur ansatzweise erreichen. Unter diesen Gesichtspunkten erklärte das BAG die Höhe der Strafe für nicht interessengerecht und daher unwirksam.

Für den vereinbarten Kündigungsausschluss führte das Gericht an, dass eine Befristung von Arbeitsverträgen für Ärzte, die sich in ihrer Weiterbildung zum Facharzt befinden, nach dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) grundsätzlich möglich und auch üblich sei. Solche Arbeitsverträge können höchstens für eine Dauer von acht Jahren geschlossen werden. In Verbindung mit den Bestimmungen aus dem Teilzeitbefristungsgesetz (§ 15 TzBfG aF) wäre dann eine ordentliche Kündigung nur zulässig, wenn diese explizit vertraglich vereinbart wurde. Übertragen auf den hier verhandelten Fall, könnte ein längerfristiger Ausschluss der ordentlichen Kündigung daher durchaus zulässig sein. Das BAG lässt diese Fragestellung in seinem Urteil jedoch unbeantwortet.

Fazit

Im konkreten Fall stimmen beide Gerichte überein. Das MVZ ist zur Lohnzahlung verpflichtet – die Ärztin muss keine Vertragsstrafe zahlen.

Für die Praxis bedeutet die tendenziell arbeitgeberfreundlichere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass nicht jeder Kündigungsausschluss per se zur Unwirksamkeit einer Vertragsstrafe bei Kündigung des Weiterbildungsvertrags führt. Was zulässig ist, ist im Einzelfall zu entscheiden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten daher bei Abschluss eines Arbeitsvertrages neben einer angemessenen Kündigungsfrist insbesondere auf eine im konkreten Einzelfall angemessen Höhe der Vertragsstrafe achten.

So hätte der Fall vor dem BAG auch anders entschieden werden können, wenn die Vertragsparteien eine angemessene Abstufung der Höhe der Vertragsstrafe vorgenommen hätten. Das BAG erklärt die Vertragsstrafe im vorliegenden Fall gerade deswegen für unwirksam, weil diese unmittelbar nach der Probezeit genauso hoch ist, wie kurz vor Ablauf des Kündigungsausschlusses und dadurch die Ärztin unangemessen benachteiligt wurde. Sofern man mit einer geringeren Vertragsstrafe beginnen und sich diese im Verhältnis zur fortschreitenden Weiterbildung steigern würde, könnte ggf. auch eine Strafe in Höhe von bis zu drei Monatsgehältern gerechtfertigt und angemessen erscheinen.

Vor Abschluss eines Arbeitsvertrages mit Vertragsstrafevereinbarungen ist daher eine vorherige Kontrolle im Einzelfall dringend anzuraten.

Dr. iur. Torsten Nölling

Fachanwalt für Medizinrecht

Lisa-Marie Büchner

Wissenschaftliche Mitarbeiterin