Gewerbesteuer in der Arztpraxis
BFH, Urt. v. 16.07.2014 Az: VIII R 41/12; BFH, Urt. v. 27.08.2014 Az: VIII R 6/12, VIII R 41/11 und VIII R 16/11.
Das Bewusstsein für drohende steuerliche Belastungen ist in den letzten Jahren in der Ärzteschaft gewachsen. Neben der Umsatzsteuer sind insbesondere die Möglichkeit von gewerblichen Einkünften und die damit einhergehende Gewerbesteuerpflichtigkeit von Bedeutung. Mehrere neue Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) haben erfreuliche Klarheit in wichtigen Teilaspekten gebracht. So hat der BFH eine Obergrenze definiert bis zu der Einnahmen, die grundsätzlich der Gewerbesteuer unterfielen und damit nach der geltenden „Abfärbetheorie“ sämtliche Einnahmen der Gesellschaft gewerbesteuerlich „infizierten“, aufgrund Geringfügigkeit unbeachtlich sind. Daneben gab es eine arztfreundliche Klarstellung zu der Frage, in welchen Fällen Einnahmen, die durch angestellte Ärzte erzielt werden, nicht zu einer Gewerbesteuerpflicht führen. Diese Urteile sollen im Folgenden dargestellt und in den Kontext der bestehenden Rechtslage eingeordnet werden.
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Verschiedene Einkunftsarten
Ärzte können verschiedene Arten von Einkünften erzielen. Regelmäßig erzielen niedergelassene Ärzte Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Grundsätzlich können Ärzte aber auch gewerbliche Einkünfte erzielen. Dies ist immer dann der Fall, wenn keine privilegierten freiberuflichen Einkünfte vorliegen. Die eigene ärztliche Tätigkeit ist eine Katalogtätigkeit nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 EStG und damit privilegiert. Aber auch Einkünfte aus Tätigkeiten angestellter Fachkräfte (insb. Ärzte, MRTAs etc.) gelten als freiberufliche Einkünfte, wenn eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit des steuerpflichtigen Arztes besteht. Diese in § 18 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 EStG enthaltene Regelung ist Gegenstand einer Vielzahl von finanzgerichtlichen Entscheidungen, in denen es um die Frage geht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Tätigkeit angestellter Fachkräfte in einer Arztpraxis noch als eigenständige freiberufliche Tätigkeit des steuerpflichtigen Arztes gilt.
Sofern eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt, unterliegen die diesbezüglichen Einkünfte der Gewerbesteuer. Grundsätzlich können sowohl gewerbliche als auch freiberufliche Einkünfte nebeneinander erzielt werden.
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Einzelpraxis vs. BAG
Zunächst ist zu differenzieren zwischen Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften (Gemeinschaftspraxen). Erzielt ein Arzt in Einzelpraxis gewerbliche Einkünfte, so hat dies grundsätzlich keine Auswirkungen auf die übrigen, freiberuflichen Einkünfte. Ertragssteuerrechtlich gilt bei einer Einzelpraxis die sogenannte „Trennungstheorie“, nach der eine Einzelperson nebeneinander Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit und aus Gewerbebetrieb haben kann. Beide Einkunftsarten werden getrennt ermittelt und besteuert. Anders ist dies nur, wenn sich die den beiden Einkunftsarten zugrundeliegenden Tätigkeiten gegenseitig bedingen und derart miteinander verflochten sind, dass der gesamte Betrieb nach der Verkehrsauffassung als einheitlich anzusehen ist (BFH, Urt. v. 01.02.1990, Az: IV R 140/88).
Bei einer Gemeinschaftspraxis hingegen führt die sogenannte „Abfärbetheorie“, die auf die Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zurückgeht, dazu, dass auch nur geringfügige gewerbliche Einkünfte auf sämtliche Einkünfte der Gesellschaft abfärben und damit auch die übrigen – für sich genommenen privilegierten, freiberuflichen – Einkünfte der Gewerbsteuer unterliegen.
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Stempeltheorie und angestellte Fachkräfte
Bereits mit Urteil vom 25.10.1963 (Az: IV 373/60 U) hat der BFH die sogenannte „Stempeltheorie“ eingeführt. Danach setzt die freiberufliche Tätigkeit des Arztes voraus, dass dieser – von einfachen Routinefällen abgesehen – grundsätzlich seine Patienten selbst zu einer Zeit untersucht, zu der diese Untersuchung noch maßgeblich für die Behandlung sein kann. Die von den Mitarbeitern erbrachten Leistungen müssen „den Stempel seiner Persönlichkeit tragen“. Der BFH geht dabei davon aus, dass gerade ein Arzt die vom Gesetz vorgegebene eigene Verantwortung (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 EStG) nur tragen kann, wenn er die Patienten (auch) selbst untersucht hat (BFH, a.a.O. RN 9).
Diese Rechtsprechung wurde vom BFH in der Folge bestätigt und verfeinert. Mit Urteilen vom 22.01.2004 (Az: IV R 51/01) und vom 05.06.1997 IV R 43/96) hat der BFH entschieden, dass – in Bezug auf selbständige Krankenpfleger – das Erfordernis der selbständigen Erbringung des wesentlichen Teils der Pflegearbeiten auch dann noch erfüllt ist, wenn der Krankenpfleger „aufgrund seiner Fachkenntnisse durch regelmäßige und eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Pflegetätigkeit der Mitarbeiter bei jedem einzelnen Patienten Einfluss nimmt, so dass die Leistung den ‚Stempel der Persönlichkeit‘ des Steuerpflichtigen trägt“. Sein Fehlen sei auch nicht durch eine stark ausgeprägte Leitungsfunktion kompensierbar.
Mit seinem aktuellen Urteil vom 16.07.2014 (Az: VIII R 41/12) hat der BFH entschieden, dass eine solche eigenverantwortliche Tätigkeit auch dann gegeben sein kann, wenn die von einer anästhesiologischen Gemeinschaftspraxis erbrachten Narkoseleistungen an verschiedenen Einsatzorten durch eine angestellte Fachärztin eigenständig und ohne Kontroll- und Eingriffsmöglichkeit durch einen Gesellschafter erfolgen, sofern die Voruntersuchung des Patienten und die Entscheidung über das Ob und Wie der Narkose durch einen Gesellschafter getroffen werden und „problematische Fälle“ durch die Gesellschafter persönlich betreut werden. Wörtlich heißt es: Führt der steuerpflichtige Arzt „die jeweils anstehenden Voruntersuchungen bei den Patienten durch, legt er für den Einzelfall die Behandlungsmethode fest und behält er sich die Behandlung ‚problematischer Fälle‘ vor, ist die Erbringung der ärztlichen Leistung durch angestellte Ärzte regelmäßig als Ausübung leitender eigenverantwortlicher freiberuflicher Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG anzusehen“.
Bisher wurde davon ausgegangen, dass die leitende eigenverantwortliche Tätigkeit voraussetzt, dass der steuerpflichtige Arzt jederzeit in das Behandlungsgeschehen eingreifen können muss. Von diesem Erfordernis hat der BFH im Falle der Anästhesisten Abstand genommen. Die Tatsache, dass die angestellte Ärztin während der Operationen, die ortsverschieden von den Räumlichkeiten der Gemeinschaftspraxis stattfinden, ohne Unterstützung der Gesellschafter arbeiten muss, sieht der BFH nicht als Ausschlusskriterium.
Aus hiesiger Sicht nicht übertragen werden darf diese Rechtsprechung jedoch auf angestellte Ärzte in Zweigpraxen. Sofern und soweit ein angestellter Arzt eine Zweigstelle einer Arztpraxis eigenständig und ohne Anwesenheit des steuerpflichtigen Arztes betreut, stellt dies eine gewerbliche Tätigkeit dar. Denn die in der Zweigpraxis behandelten und betreuten Patienten werden ohne jegliche konkrete Einflussnahmemöglichkeit des steuerpflichtigen Arztes behandelt. Auch wenn der Praxisinhaber Behandlungspfade vorgibt und gegebenenfalls sogar stichprobenmäßig die Arbeit des angestellten Arztes überprüft, führt die Ortsverschiedenheit dazu, dass die vom BFH bereits 1963 (BFH, a.a.O. s.o) aufgestellte Anforderung einer – von Routinefällen abgesehen – eigenen Untersuchung jedes einzelnen Patienten zu einem Zeitpunkt, zu dem diese noch therapieentscheidend sein kann, nicht erfüllt wird. Mangels Kenntnis der die Zweigpraxis aufsuchenden Patienten ist es dem steuerpflichtigen Arzt bereits nicht möglich, „problematische Fälle“ von „Routinefällen“ abzugrenzen. Der BFH stellt aber auch in seiner liberalen aktuellen Entscheidung vom 16.07.2014 (a.a.O.) darauf ab, dass die steuerpflichtigen Ärzte durch „eine regelmäßige und eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Tätigkeit ihres angestellten Fachpersonals — patientenbezogen – Einfluss nehmen. Dieser „Patientenbezug“, der in der Anästhesistenentscheidung durch die eigenhändige Voruntersuchung gewährleistet war, entfällt jedoch bei einer Zweigpraxis.
Ortsgleich tätige angestellte Ärzte unterliegen hingegen der ständigen Kontroll- und Übernahmemöglichkeit durch den steuerpflichtigen Arzt, sodass in diesen Fällen eine eigenverantwortliche Tätigkeit auch dann anzunehmen ist, wenn nicht jeder Patient zunächst vom Praxisinhaber untersucht wird, da durch entsprechende Vorgaben und engmaschige Überwachung und Kontrollen vor Ort der Praxisinhaber leitend und eigenständig tätig wird. Dies gilt jedenfalls soweit aufgrund der Anzahl der angestellten Fachkräfte und der behandelten Patienten/Untersuchungsmaterialien eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit des Praxisinhabers nicht ausgeschlossen ist. Mit dem BFH, Urt. v. 04.02.1990 (Az: IV R 140/88) ist davon auszugehen, dass ein „Arzt für Laboratoriumsmedizin, in dessen Praxis — 325 Arbeitstage jährlich unterstellt — täglich im Durchschnitt zwischen 277 und 345 Aufträge (692 bis 862 Untersuchungen) erledigt werden, …. nicht mehr in der Lage [ist], der einzelnen Untersuchung das Gepräge seiner persönlichen Arbeit zu geben.“
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„Infektion“ durch geringfügige gewerbliche Einkünfte – Obergrenze bei 3% und 24.500 EUR
In mehreren Urteilen vom 27.08.2014 befasste sich der BFH mit der Frage, bis zu welchem Anteil am Gesamtumsatz und/oder bis zu welcher absoluten Höhe eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewerbliche Einkünfte erzielen darf, ohne dass die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG greift („Abfärbetheorie“ / „Infektion“) und die Privilegierung nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG entfällt, mithin auch die freiberuflichen Einkünfte gewerbesteuerpflichtig werden. Hintergrund der rechtlichen Unsicherheit war, dass der BFH aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus den Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, der bereits minimalste gewerbliche Einkünfte berücksichtigt, einschränkend dahingehend auslegt, dass jedenfalls gewerblich Einkünfte von „äußerst geringer Höhe“ unschädlich sein. Die Frage, wie hoch „äußerst gering“ ist, ist nun eindeutig und wohl abschließend geklärt.
In der erfreulich klaren und freiberuflicherfreundlichen Entscheidung VIII R 6/12, in der es um Einkünfte einer Rechtsanwaltsgesellschaft aus (vorläufiger) Insolvenzverwalter- und Treuhändertätigkeit eines angestellten Rechtsanwalts ging, entschied der BFH, dass gewerbliche Einkünfte bis zu 3 % des Gesamtnettoumsatzerlöses der Gesellschaft unschädlich sind. Der BFH benannte diesen Prozentsatz in der Entscheidung VIII R 41/11 vom selben Tag explizit als definitive Obergrenze, in der Vergangenheit billigte er bereits gewerbliche Einkünfte in Höhe von 1,25 % (Urt. v. 11.08.1999 – XI R 12/98 = BFHE 189, 419) und 2,81 % (BFH, Beschl. v. 08.03.2004 – IV B 212/03). Auch entschied er bereits, dass Einkünfte in Höhe von 6 % nicht mehr als „äußert geringer Umfang“ anzusehen seien (Urt. v. 11.08.1999 – XI R 12/98- = BFHE 189, 419).
Daneben entschied er (VIII R 6/12), dass die gewerblichen Einkünfte ebenfalls nicht die absolute Höhe von 24.500,00 EUR überschreiten dürfen (d.h. 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse und 24.500,00 EUR). Dieser Betrag entspricht dem gewerbesteuerlichen Freibetrag für Personengesellschaften aus § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG und ist nach überzeugender Ansicht des BFH auf die vorliegende Konstellation anwendbar. Denn bis zu diesem Betrag unterliegen gewerbliche Einkünfte von Personengesellschaften nicht der Besteuerung, sodass eine vergleichbare Interessenlage besteht. Ohne diese absolute Obergrenze würden umsatzstarke freiberufliche Personengesellschaften, wie z.B. große Gemeinschaftspraxen, ungerechtfertigt bevorzugt, da diese über die relative Obergrenze (3 %- Grenze) allein andernfalls eine nennenswerte gewerbliche Tätigkeit entfalten könnten. Die Gesamtnettoumsatzerlösgrenze, ab der die absolute Obergrenze von 24.500,00 EUR relevant wird, beträgt rechnerisch 816.666,66 EUR.
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Folgen der Gewerblichkeit
Wird für eine Personengesellschaft die Gewerblichkeit der Einkünfte festgestellt, hat dies, je nach individuellem Einkommenssteuersatz der Gesellschafter und lokalem Gewerbesteuerhebesatz regelmäßig eine steuerliche Mehrbelastung zu Folge, die sich dennoch häufig in einem überschaubaren Rahmen halten kann. Daneben ist jedoch zu beachten, dass die Gewerblichkeit regelmäßig zur Folge hat, dass die Personengesellschaft von der Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) auf eine Bilanzierung umstellen muss. Im Unterschied zur EÜR, bei der die Besteuerung erst nach Abschluss des Wirtschaftsjahres erfolgt, sind bei der Bilanzierung unterjährige Zahlungen erforderlich, was eine Belastung der Liquidität der Gesellschaft jedenfalls im ersten Jahr der Umstellung zur Folge hat. Hinzu kommen regelmäßig höhere Ausgaben für Steuer- und ggfls. Rechtsberatung aufgrund der höheren Komplexität der Bilanzierung.
Rechtsanwalt Torsten Nölling
Fachanwalt für Medizinrecht