Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

Keine Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige

LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.09.2018 – 14 Sa 140/80 (ArbG Göttingen, Urt. v. 14.12.2017 – 2 Ca 155/17)

Im Krankenhausbetrieb kommt es immer wieder dazu, dass die Arbeitsverdichtung, durch Personalmangel oder aus anderen Gründen, ein Niveau erreicht, bei der für einzelne oder auch mehrere Arbeitnehmer subjektiv eine Gefahrenlage besteht. Diese Mitarbeiter sind berechtigt bei ihrem Arbeitgeber eine sogenannte Gefährdungsanzeige zu stellen. Arbeitnehmer sind zum unverzüglichen Stellen einer solchen Gefährdungsanzeige verpflichtet, wenn sie eine „unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit“ feststellen, § 16 Arbeitsschutzgesetz. Insgesamt, so schreibt das AG Göttingen, ist „ein Handeln eher ‚zu früh’ als ‚zu spät’ angezeigt“. Es betont dabei den subjektiven Charakter der Gefahrenlage. Schon der Wortlaut des Gesetzes zeige, dass „die von ihnen festgestellte“ und damit die nach der subjektiven Einschätzung der Arbeitnehmer bestehende oder bevorstehende Gefahr maßgeblich sei und nicht eine ex post vom Arbeitgeber überprüfte.

Im konkreten Fall stellte eine Pflegekraft in einer Psychiatrischen Klinik eine Gefährdungsanzeige, nachdem sie eine ihr fremde Station vertretungshalber übernehmen musste und weder sie noch das ihr nachgeordnete Personal (eine Auszubildende und ein Pflegeschüler) die Patienten in nennenswerter Weise kannten. Sie hielt die personelle Ausstattung für unzureichend. Der Arbeitgeber reagierte mit einer Abmahnung. Dort hieß es, dass das Arbeiten mit unbekannten Patienten zum betrieblichen Alltag und zu den üblichen Anforderungen, die an eine examinierte Pflegefachkraft gestellt würden, gehöre. „Eine Gefährdungslage bestand nicht und drohte auch nicht“. Weiter seien solche Gefährdungsanzeigen geeignet, dem Betrieb erheblichen Schaden zuzufügen, insb. wenn diese in die Öffentlichkeit gelängen.

Das ArbG Göttingen verurteile der Arbeitgeber antragsgemäß dazu, die Abmahnung aus der Personalakte der Pflegekraft zu entfernen.

Das Urteil stellt deutlich klar, dass aufmerksame Mitarbeiter aus Sicht des Gesetzgebers erwünscht sind. Letztlich ist dies auch im Interesse des Arbeitgebers, der auf diese Weise von Gefahrenpotential „an der Basis“ Kenntnis erlangen kann, wenn im hierarchischen „Mittelbau“ Informationen „verloren“ gehen.

Eine andere Frage ist, ob Gefährdungsanzeigen den aus Arbeitnehmersicht gewünschten Erfolg zeigen. Eine Umfrage des Marburger Bundes unter seinen Mitgliedern (d.h. ärztliches Personal) aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass 23% der Antwortenden schon einmal eine Gefährdungsanzeige gestellt hatten. Nur bei 16 % wurde die Situation daraufhin besser, bei 72 % blieb sie gleich und 13 % beklagten eine Verschlechterung (Quelle: DÄBl 2018, A1040).

Rechtsanwalt Torsten Nölling

Fachanwalt für Medizinrecht

Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Kardiotechniker, 2018, S. 89f.

ERGÄNZUNG: Gegen das Urteil des ArbG Göttingen wurde Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen eingelegt. Dieses hat mit Urteil vom 12.09.2018 (AZ 14 Sa 140/18) die Entschidung des ArbG Göttingen bestätigt, die Berufung verworfen und die Revision nicht zugelassen. Ob die Arbeitgeberseite Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG einlegen wird, ist nicht bekannt.