Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

Bei einer während des Arbeitstages auftretenden Erkrankung erhält der Arbeitnehmer Arbeitslohn und keine Entgeltfortzahlung; das Auftreten der Erkrankung während der Arbeitszeit schmälert nicht den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

LArbG Köln, Urt. v. 12.01.2018 – 4 SA 290/17 – unter Hinweis auf BAG, Urt. V. 26.03.2003 – 5 AZR 112/02 –

Sachverhalt:

Die Situation ist alltäglich. Ein Mitarbeiter verlässt nach Beginn der Arbeit unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit den Betrieb. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte zu entscheiden, ob für diesen Tag von der Arbeitgeberin Arbeitslohn nach § 611 BGB oder Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG zu leisten ist und ob das Verlassen des Betriebs nach Beginn der Arbeitszeit den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („Krankschreibung“) schmälert. Denn dem LArbG Köln lag eine alltäglich Situation mit einer kleinen Besonderheit zugrunde: Der Mitarbeiter verließ den Betrieb unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nach einer jedenfalls verbalen Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten. Ob der Wurf eines Pappbechers, den der Vorgesetzte unstreitig geworfen hatte, in Richtung des Arbeitnehmers erfolgte, konnte vor Gericht nicht aufgeklärt werden. Obwohl der Arbeitnehmer für diesen und die folgenden Tage eine ärztliche AU-Bescheinigung vorlegte, zahlte die Arbeitgeberin weder Lohn noch Entgeltfortzahlung.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das LArbG Köln verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung von Lohn für den ersten Tag der Erkrankung unter und für die folgenden Tag zur Zahlung von Entgeltfortzahlung. Der hohe Beweiswert der ärztlichen AU-Bescheinigung sei nicht erschüttert. Auch der „gesunde Eindruck“, den der Mitarbeiter gemacht habe, ändere daran nichts. Es sei weder ungewöhnlich noch selten, dass eine Arbeitsunfähigkeit im Laufe des Tages eintrete. Auch soweit die Arbeitgeberin behauptet hat, der Arbeitnehmer habe den Betrieb allein aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten verlassen, schmälere dies nicht den Beweiswert der AU-Bescheinigung. Dieser hohe Beweiswert beruhe zuvorderst auf den ärztlichen Berufspflichten.

Auswirkung auf die Praxis:

Die Entscheidung ist korrekt und nicht überraschend. Überraschend ist allein, dass die Arbeitgeberin dieses Verfahren bis in die Berufungsinstanz getrieben hat. Wichtig für Arbeitnehmer ist jedoch die Unterscheidung zwischen Lohn und Entgeltfortzahlung. Während der Arbeitslohn unabhängig von etwaig bestehenden Vorerkrankungen oder Gesamterkrankungszeiten gezahlt werden muss, gibt es für die Entgeltfortzahlung strenge Voraussetzungen. Unter anderem wird Entgeltfortzahlung nur geleistet, wenn das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen bestand hatte, die Erkrankung nicht selbstverschuldet ist und der Arbeitnehmer im Jahreszeitraum noch nicht mehr als sechs Wochen wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war. Nach diesem Zeitraum besteht – wiederum zeitlich begrenzt – ein Krankengeldanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse. Insbesondere bei langwierigen oder chronischen Erkrankungen kann daher der Unterschied zwischen Lohn und Entgeltfortzahlung entscheidend sein.

Rechtsanwalt Torsten Nölling

Fachanwalt für Medizinrecht