Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit erfassen

Was gilt nun für Krankenhaus, MVZ oder Arztpraxis?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, die geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Wie bereits in einem früheren Artikel vom Juli 2019 mitgeteilt, findet das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.Mai 2019 (C-55/18) auch in Deutschland Anwendung.

  1. Die Entscheidung des EuGH (Az: C-55/18)

Der EuGH hat am 14. Mai 2019 entschieden, dass die Arbeitgeber in jedem EU-Mitgliedsstaat dazu verpflichtet sind, ein objektives und verlässliches System zu schaffen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dadurch soll sowohl das Grundrecht auf „Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ aus Artikel 31 Absatz 2 Grundrechtecharta (GRCh) als auch die Rechte aus der Richtlinie 2003/88/EG, die die Arbeitszeitgestaltung regelt, gewährleistet und geschützt werden. Die bisherige Regelung des Arbeitszeitgesetzes sah dabei vor, lediglich Überstunden und Sonntagsarbeit zu dokumentieren, jedoch nicht die tägliche Regelarbeitszeit. Das nationale deutsche Recht genügt damit nicht den europarechtlichen Anforderungen.

  1. Die Entscheidung des BAG (Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21)

Das BAG verhandelte über einen Fall, in dem ein Betriebsrat ein Initiativrecht forderte, um über die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung entscheiden zu können. Ein Initiativrecht bekam der Betriebsrat nicht zugesprochen. Das BAG begründete ausweislich der bisher vorliegenden Presseerklärung seine Entscheidung damit, dass ein betriebliches Mitbestimmungs- oder Initiativrecht ausgeschlossen sei, sofern es bereits gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung gibt und bezieht sich damit auf die Regelungen aus § 3 Absatz 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Demnach ist der Arbeitgeber verpflichtet, für eine geeignete Organisation der Tätigkeit zu sorgen und erforderliche Mittel bereitzustellen, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu sichern. Da das Arbeitsschutzgesetz für alle Betriebe gilt, ob mit oder ohne Betriebsrat, sind alle Unternehmen in Deutschland also auch Krankenhäuser, MVZ und Arztpraxen verpflichtet, die genaue Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen.

  1. Folgen für Arbeitsgeber

Zunächst muss die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe durch das BAG abgewartet werden. Klar ist aber, dieses Mal muss der Gesetzgeber reagieren, um für Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine verlässliche Rechtslage zu schaffen. Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber nun auf den Beschluss des BAG reagieren wird. Das Bundesministerium für Arbeit hat bereits mitgeteilt, ein neues Arbeitszeitgesetz sei in Arbeit. Unabhängig davon empfiehlt es sich, ein Zeiterfassungssystem für die geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer einzuführen, sofern dies bislang nicht erfolgt ist. Bestehende Arbeitsverträge sollten auf eine Klausel zur Dokumentation der Arbeitszeit hin überprüft und notfalls angepasst oder ergänzt werden.

Der EuGH ließ offen, mit welcher Methode eine solche Zeiterfassung durchgeführt werden soll. Ob das BAG in den ausstehenden Entscheidungsgründen sich hierzu positionieren wird, bleibt abzuwarten. Vorerst bestehen daher keine verbindlichen Vorgaben. Eine Möglichkeit wäre zum einen die Einführung einer Stechuhr oder händische Aufzeichnungen. Aber auch digital ist die Erfassung beispielsweise durch eine Excel-Tabelle oder eine Smartphone App möglich. (Nölling, Der Gynäkologe, Heft 2, 2019; Nölling, Objektive und vollständige Arbeitszeiterfassung im Krankenhaus)

Größere Unternehmen sollten zudem bei der Einführung eines Zeiterfassungssystems das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, sofern dieser vorhanden ist, beachten. Dieser darf bei der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“ nach § 87 Absatz 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) mitbestimmen. Es empfiehlt sich also, sich vor der Einführung eines solchen Systems mit dem Betriebsrat abzustimmen.

Leipzig, im September 2022