Rechtsanwalt Medizinrecht Leipzig

Die neue Zweitmeinungs-Richtlinie des G-BA führt zu neuen Haftungsrisiken und einer längeren OP-Vorlaufzeit bei Hysterektomien

Zusammenfassung

Bereits seit Mitte 2015 haben alle GKV-PatientInnen bei bestimmten planbaren Eingriffen einen Anspruch auf die Einholung einer Zweitmeinung als Kassenleistung. Damals wurde mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 11.06.2015 (In Kraft getreten am 23.07.2015) das Zweitmeinungsverfahren durch die Regelung des § 27b SGB V als Kassenleistung neu in das Gesetz aufgenommen. Wie so häufig sollte das Nähere nicht unmittelbar vom Gesetzgeber sondern durch den G-BA im Wege einer Richtlinie bestimmt werden. Die ursprünglich vom Gesetzgeber hierfür vorgesehene Frist lief bereits am 31.12.2015 ab (§ 27b Abs. 2 Satz 6 SGB V). Mit fast zweijähriger Verspätung liegt nunmehr seit dem 27.09.2017 eine Richtlinie des G-BA zum Zweitmeinungsverfahren vor, die noch ihrer Genehmigung durch das BMG und der Veröffentlichung im Bundesanzeiger harrt, bis sie sodann in Kraft treten kann. In weiten Teilen übernimmt diese Richtlinie die gesetzlichen Regelungen, sodass mit der Genehmigung durch das BMG in Bälde gerechnet werden kann.

Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 27b Abs. 2 SGB V soll die G-BA Richtlinie solche Eingriffe bestimmen, bei denen „im Hinblick auf die zahlenmäßige Entwicklung die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist“.

Als erste medizinische Verfahren, für die ein Anspruch auf Zweitmeinung als Kassenleistung bestehen wird, bestimmt der G-BA die Tonsillektomie und die Tonsillotomie aus dem HNO-ärztlichen Bereich und die Hysterektomie aus dem Bereich der Gynäkologie, jeweils bei nicht-maligner Erkrankung der Organe.

  1. Anspruch der GKV-Versicherten auf Einholung einer Zweitmeinung bei Gebärmutterentfernung

Der gesetzliche Anspruch von GKV-Versicherten wurde durch diese Richtlinie nunmehr auf die genannten Eingriffe Tonsillektomie, Tonsillotomie und Hysterektomie konkretisiert. Weitere Eingriffe wurden bisher nicht benannt. Um eine Zweitmeinung einholen zu dürfen, muss zunächst eine Ärztin/ein Arzt die entsprechende Diagnose einer nicht-malignen Erkrankung und die Therapieempfehlung für eine Hysterektomie/Uterusexstirpation gestellt haben. Mit Indikationsstellung entsteht der sogenannte Sachleistungsanspruch, § 5 Abs. 1 der G-BA-Richtlinie. Dieser konkretisiert sich in dem Anspruch der Patientin eine/n nach den Vorgaben der Richtlinie ausreichend qualifizierte/n Ärztin/Arzt zur Einholung einer Zweitmeinung aufzusuchen, die/der selbst den Eingriff nicht vornehmen darf.

  1. Aufgaben der/s ersten, indikationsstellenden Ärztin/Arztes

a) Besondere Aufklärungs- und Hinweispflichten

Neben den üblichen Aufklärungspflichten treten besondere weitere Aufklärungspflichten:

Zunächst muss die/der indikationsstellende Ärztin/Arzt die Patientin über ihr Recht, eine Zweitmeinung einholen zu können, aufklären. Hier gelten die üblichen Regelungen. D.h. die Aufklärung hat mündlich und verständlich zu erfolgen und sollte auch dokumentiert werden. Hierzu bietet sich die Verwendung eines spezifischen Aufklärungsbogens an.

Im Rahmen der Aufklärung muss die Ärztin/der Arzt die Patientin auch auf die Informationsangebote über „geeignete Zweitmeiner“ hinweisen und darüber, dass diese oder die Einrichtung, in der sie tätig sind, den Eingriff nicht selbst durchführen dürfen. Diese Informationsangebote sind nach § 9 der G-BA-Richtlinie von den KVen und Landesrankenhausgesellschaften bereit zu stellen. ACHTUNG! Nicht hingewiesen werden darf hingegen auf bestimmte „Zweitmeiner“. Dies würde gegen das Zuweisungsverbot aus § 31 MBO-Ärzte verstoßen. Weiter ist die Patientin auf das „Patientenmerkblatt“ des G-BA zum Zweitmeinungsverfahren, auf die „Entscheidungshilfe“ des IQWiG und ggf. auf weitere evidenzbasierte Informationen zum geplanten Eingriff hinzuweisen, auf die im Patientenmerkblatt verwiesen wird. Zudem „soll“ die Ärztin/der Arzt, der Patientin das Merkblatt „in Textform“, d.h. entweder als Ausdruck oder elektronisch, zur Verfügung stellen (hier verlangt der G-BA also Dreifaches.: Die Ärztin/der Arzt muss nicht nur auf die Existenz des Patientenmerkblattes hinweisen und der Patientin den Inhalt (teilweise) mündlich darlegen. Sie/Er soll ihr das Merkblatt auch noch aushändigen). Schließlich ist die Patientin darauf hinzuweisen, dass sie einen Anspruch auf Überlassung aller für die Zweitmeinung relevanten Patientenunterlagen hat. Die für die Zusammenstellung und Überlassung der Unterlagen anfallenden Kosten trägt die Krankenkasse.

b) Zeitpunkt der Aufklärung

Im Unterschied zu der medizinisch erforderlichen Risiko- und Selbstbestimmungsaufklärung, die so rechtzeitig zu erfolgen hat, das die Patientin das Für und Wider des empfohlenen Eingriffs in Ruhe abwägen kann, muss die Aufklärung über die Möglichkeit der Einholung einer Zweitmeinung nach § 6 Abs. 1 der G-BA-Richtlinie mindestens 10 Tage vor dem geplanten Eingriff stattfinden. Durch diese zwingende Zeitvorgabe soll die Patientin ausreichend Zeit erhalten, die Zweitmeinung einzuholen, jedenfalls aber, darüber zu entscheiden, ob sie sie einholen möchte.

  1. Anforderungen an die Zulassung einer Ärztin/eines Arztes als „Zweitmeiner“

Wie im GKV-System nicht anders zu erwarten, benötigt der „Zweitmeiner“ zunächst einer Abrechnungsgenehmigung. Dieser erfolgt in Form einer besonderen „Ermächtigung zur Erbringung von Zweitmeinungen“. Um diese Abrechnungsgenehmigung zu erhalten, muss der Zweitmeiner

  • allgemein zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sein,
  • allein für die Erbringung der Zweitmeinung am GKV-System teilnehmen („Ermächtigung zur Teilnahme am Zweitmeinungsverfahren“ nach § 31 Abs. Ärzte-ZV) oder
  • an ermächtigten Einrichtungen, zugelassenen MVZ oder zugelassenen Krankenhäusern tätig sein und
  • die besonderen Qualifikationen für die Abgabe der Zweitmeinung gegenüber der KV nachweisen. Diese sind:
    • Anerkennung der erforderlichen Facharztbezeichnung (HNO oder Frauenheilkunde),
    • eine mind. 5-jährige vollzeitige Tätigkeit als Fachärztin/arzt auf dem jeweiligen Gebiet und
    • Kenntnisse über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung zur jeweiligen Diagnostik und Therapie einschließlich der Therapiealternativen, nachzuweisen durch
      • Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung und
      • Erteilung der Weiterbildungsbefugnis oder
      • Verleihung einer akademischen Lehrbefugnis.

Zudem muss der „Zweitmeiner“ eine Interessenkonflikterklärung abgeben, aus der ersichtlich ist, ob und ggf. welche finanziellen Interessen in Bezug auf Hersteller von Medizinprodukten oder einem Verband solcher Hersteller bestehen.

Ob dieses ausgesprochen bürokratische und formale Verfahren für die Zulassung von Zweitmeinern letztlich so umgesetzt wird, ist derzeit nicht sicher vorhersagbar. Mit Schreiben vom 09.03.2018 hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) diese Regelungen beanstandet und eine „weniger bürokratische bzw. niederschwelligere Lösung z.B. mit Meldung und Selbstauskünften der Zweitmeiner in Verbindung mit Stichprobenprüfungen“ angemahnt.

  1. Aufgaben des „Zweitmeiners“

Die Zweitmeinung ist nach der Konzeption der Richtlinie eine unabhängige, neutrale ärztliche Meinung, § 3 Abs. 1 G-BA Richtlinie. Für diese Beurteilung sind die vorliegenden Befunde durchzusehen. Ein Anamnesegespräch und die körperliche Untersuchung der Patientin können (erneut) durchgeführt werden, wenn dies zur Meinungsbildung erforderlich ist. Darüber hinausgehende Untersuchungs- und Behandlungsleistungen sind nicht Teil der Zweitmeinung, § 3 Abs. 2 Satz 3 G-BA-Richtlinie. Sollten aus Sicht des Zweitmeiners relevante Untersuchungen fehlen oder nicht verwertbar oder weiterführende Untersuchungen notwendig sein, ist der Patient darüber zu informieren. Selbst anfertigen bzw. durchführen darf der Zweitmeiner die fehlenden Befunde bzw. Untersuchungen nicht. Ob diese Diagnostik sodann bei einer/m dritten Ärztin/Arzt durchgeführt bzw. wiederholt werden darf und ob danach ein erneuter Anspruch auf eine Zweitmeinung besteht, ist derzeit unklar und muss nach Ansicht des BMG noch geregelt werden. Ebenfalls sind der Patientin auf Nachfrage etwaige Interessenkonflikte vom Zweitmeiner offen zu legen.

Die Zweitmeinung soll vom Zweitmeiner persönlich in einem Gespräch mit der Patientin abgegeben werden. Telemedizinische Möglichkeiten dürfen nur dann verwendet werden, wenn diese gesondert in der Richtlinie genannt werden. Dies ist bei dem aktuellen Stand der Richtlinien nicht der Fall. Möglich ist es, Ärztinnen und Ärzte weitere Fachgebiete oder Angehörige nichtärztlicher Gesundheitsfachberufe einzubeziehen, soweit dies eingriffsspezifisch in der Richtlinie vorgesehen ist, § 8 Abs. 3 G-BA-Richtlinie. Dies ist im Bereich der Gebärmutterentfernung nicht vorgesehen.

Auf Wunsch der Patientin/des Patienten informiert der Zweitmeiner die/den indikationsstellende/n Ärztin/Arzt über das Ergebnis der Zweitmeinung und ggf. erforderliche weitere oder erneute Befunderhebungen. Der Patientin ist auf Wunsch ein Befundbericht auszuhändigen. Hierbei ist auf die Entscheidungshilfe des IQWiG und ggf. weitere evidenzbasierte Informationen Bezug zu nehmen.

  1. Rechtliche Risiken

Aus haftungsrechtlicher Sicht stellt sich insbesondere die Frage, welche Folgen eine Nichtbeachtung des Zweitmeinungsverfahren durch die/den indikationsstellende/n Ärztin/Arzt hat. Aus hiesiger Sicht dürfte die neue Aufklärungspflicht zivilrechtlich zu dem Kanon der Selbstbestimmungsaufklärung nach § 630e Abs. 1 BGB zählen. Ihre Nichtbeachtung würde folglich die Einwilligung der Patientin nach § 630d Abs. 1 und 2 BGB unwirksam und den Eingriff damit – unabhängig von dem Vorliegen einer Indikation und seiner, hier unterstellten, medizinisch fehlerfreien Durchführung – rechtswidrig machen. Das würde nicht nur zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, sondern grundsätzlich auch den strafrechtlich relevanten Vorwurf der (fahrlässigen) Körperverletzung begründen.

Aber auch bei der Befolgung der neuen Richtlinie drohen rechtliche Fallstricke. So muss die/der indikationsstellende Ärztin/Arzt auf das Zweitmeinungsverfahren hinweisen und der Patientin auch die Möglichkeiten aufzeigen, sich über „Zweitmeiner“ zu informieren. Nicht hingegen darf die Ärztin/der Arzt geeigneten Zweitmeiner unmittelbar benennen. Hier gilt § 31 Abs. 2 MBO-Ärzte, der die (ungefragte und nicht auf medizinischer Indikation beruhende) Empfehlung eines anderen Leistungserbringers untersagt. Aus der Vergangenheit sind eine Vielzahl von wettbewerbsrechtlichen Verfahren z.B. gegen HNO-Ärztinnen und -Ärzte bekannt, die bestimmte Hörgeräteakustiker empfohlen haben. NB! Eine wirtschaftliche Komponente, wie etwa in Form einer sogenannten Kick-Back-Zahlung ist nicht erforderlich, um die Empfehlung rechtswidrig zu machen. Bei Vorliegen einer solchen zusätzlichen Komponente kämen vielmehr weitere Tatbestände wie die verbotene Zuweisung gegen Entgelt (§ 32 Abs. 1 MBO-Ärzte) oder die Korruption im Gesundheitswesen nach § 299a StGB in Betracht.

  1. Fazit/Empfehlung für die Praxis:

Bei Indikation zu einer Gebärmutterentfernung müssen alle behandelnden Frauenärztinnen und -ärzte ihre GKV-Patientinnen über die Möglichkeit der Einholung einer Zweitmeinung aufklären. Zudem darf der indizierte Eingriff frühestens 10 Tage nach dieser Aufklärung terminiert werden. Privatpatientinnen sind von dieser GB-A-Richtlinie nicht unmittelbar betroffen.

Die nunmehr kodifizierten Zweitmeinungsverfahren betreffen Standardeingriffe, die zu den häufigsten Eingriffen in den betroffenen Fachgebieten zählen. Auch bisher war es – unabhängig vom Versicherungsstatus – durchaus üblich, eine Zweitmeinung einzuholen. Auffällig ist jedoch, dass dies bisher tendenziell eher bei komplexen Eingriffen und schwerwiegenden Erkrankungen der Fall war. Der G-BA führt in den „Tragenden Gründen“ zur vorliegenden Richtlinie jedoch aus, dass maligne Erkrankungen der Organe von diesem Zweitmeinungsverfahren nicht betroffen sind. Zum einen, da die Wartefrist von 10 Tagen im Einzelfall unzumutbar sein könnte, zum anderen, da bei diesen Erkrankungen bereits heute ein Zweitmeinungsverfahren in Form eines Tumorboards üblich sei. Damit wird klar, dass es dem Gesetzgeber neben der Gesundheit der PatientInnen insbesondere um Einsparungen im Gesundheitswesen durch die Vermeidung unnötiger Eingriffe in den genannten „Masseverfahren“ geht.

Für die betroffenen indikationsstellenden Ärztinnen und Ärzte gilt, dass sie diese Vorgaben zwingend beachten müssen, sobald die Richtlinie vom Bundesgesundheitsministerium bestätig und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden sein wird. Ab diesem Zeitpunkt bestehen die dargestellten Informations- und Aufklärungspflichten. Selbst wenn bis zu diesem Zeitpunkt durch den Bewertungsausschuss noch keine neuen Abrechnungsziffern im EBM hinterlegt und auch noch keine Abrechnungsgenehmigungen für Zweitmeiner von den KVen erteilt worden sein sollten. Nach § 87 Abs. 2a S. 10 SGB V hat der Bewertungsausschuss innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der G-BA-Richtlinie entsprechende Abrechnungsziffern zu beschließen. Schafft es dies nicht, können die Patientinnen die Zweitmeinung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen (§ 87 Abs. 2a S. 10 und 11 SGB V), bis eine Bewertung durch den Bewertungsausschuss erfolgt ist. Über diese Möglichkeit der Kostenerstattung muss die/der indikationsstellende Ärztin/Arzt die Patientin wiederum aufklären (§ 630c Abs. 3 BGB und § 18 Abs. 8 S. 1 Nr. 2 und 3 BMV-Ärzte).

Über die Sinnhaftigkeit eines Zweitmeinungsverfahrens in der aktuell vorgesehenen Form bei einem standardisierten Eingriff wie der Hysterektomie lässt sich trefflich streiten. Die in diesem Beitrag skizzierte zusätzliche Bürokratie wird jedoch genauso sicher kommen, wie zukünftig weitere Eingriffe vom G-BA benannt werden, die für ein Zweitmeinungsverfahren in Frage kommen.

Rechtsanwalt Torsten Nölling

Fachanwalt für Medizinrecht

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Das Bundesgesundheitsministerium hat mit Bescheid vom 11.07.2018 Änderungen an der G-BA Richtlinie angemahnt. Die Folgen, die sich für die Ärztinnen und Ärzte aus dieser anstehenden Änderung ergeben habe ich in diesem Beitrag zusammengefasst.